südlich von Deutschland

potpourrie
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südlich von Deutschland

Beitrag von potpourrie » Do 16. Jun 2016, 22:24

Seid gegrüsst geschätzte Freunde klassischer Yachten!
Es ist die Zeit im Jahr, die meisten Schiffe sind im Wasser, und dem an Land gebliebenen fällt nichts besseres ein, als die Anzeigen im lokalen Internet-Bootmarkt nach Holzbooten durchzugucken.
Nun ist dort ein Drachen Schaal, Köpenick Berlin von 1950 ausgeschrieben. Die Adresse des Inserats ist boot24.ch/254495 .Ich finde das bemerkenswert und weiss gar nicht wie das geschichtlich einzuordnen ist, bzw. im Sinne von klassisch zu betrachten ist. Das Boot steht seit mindestens vier Jahren in einer Halle. An dem Boot wurde schon massivst gefrevelt. Es hat ein Sperrholz-Ruder, ein Flicken geht senkrecht über drei Planken, eine Scheuerleiste bei einem Drachen ist, glaube ich, auch Stilbruch, das Sperrholzdeck ist von unten deutlich dunkelgrau, die Fockleitschiene ist drei Meter lang, die Backstage ein zwölf Millimeter dickes Tau direkt in einen Spinlock Blocker. Ansonsten ist die Schale, Lärche auf Eiche, mit nur einem massiven Mahagonipoller im Vorschiff, genau das, was ich mir wünschen würde.
Für mich ist das Neuland, und ich würde gerne die Leute hier nach einer Einschätzung fragen. Sagen wir, würdet ihr so ein Schiff geschenkt nehmen und da Zeit und Aufwand reinstecken, oder ist da Hopfen und Malz verloren? Weiss jemand wie das bei den Drachen läuft, da gibt es ja recht detaillierte Klassenregeln, und was da nicht reinpasst ist kein offizieller Drachen mehr. Würdet ihr euch da vorher bei der Drachen-Vereinigung erkundigen?

Ja nu, an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für die tolle Webseite, ich habe sicher noch nicht alles gelesen, aber für mich als Internet-Geschädigten ist sie klar eine schöne Inspiration. Und so kommt es, dass ich hier mit der Tür ins Haus falle.
Ich mach mal freundliche Grüsse.
André bauer
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Re: südlich von Deutschland

Beitrag von André bauer » Fr 17. Jun 2016, 06:32

Hallo,

das Boot sieht von der Substanz doch sehr gut aus, für den Preis...
Vorausgesetzt es finden sich keine echten Baustellen am Rumpf, würde Ich es als günstig bezeichnen.
Die Schotleitschiene ist kein Schaden am Schiff, kann einfach ersetzt bzw. entfernt werden.
Selbst das Ruder ließe sich noch relativ leicht erneuern und auch die Scheuerleiste leicht entfernen, die da wirklich nicht hingehört.
Die von Dir genannten Punkte sind allesamt keine KO-Kriterien nach meiner Meinung, Beschläge sind schnell getauscht.
Das einzige wäre der Flicken über 3 Planken, das kann sich äußerst blöd auf die Festigkeit auswirken, wenn schlecht gemacht wurde.
Und was bedeutet "im Heckbereicb in der Wasserlinie muss Holz getauscht werden"? Sind es Planken ist das vielleicht noch relativ günstig zu machen. Ist es der Achtersteven oder der Heckbalken wird es teurer.
Hast Du das Boot schon gesehen? Gibt es gebrochene Spanten oder tiefschwarze Stehen, weiße Ablagerungen oder Schimmelspuren im Holz?
Das sind die wesentlichen Fragen beim Kauf eines Holzbootes.
Auf der Seite des FKY gibt es auch einen Artikel zur Beurteilung von Booten.

Um das Boot regattatauglich und regelkonform zu machen, ist bestimmt Arbeit notwendig und ein gründliches Studium der Klassenvorschriften tut not.
Natürlich ist für die Ausrüstung noch Geld notwendig.

Gruß,
André
Gruß,
André

V98 Seebrise
www.bauer-naval-design.de
www.v98-seebrise.de (noch nicht umgezogen)
potpourrie
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Re: südlich von Deutschland

Beitrag von potpourrie » Sa 18. Jun 2016, 13:06

Hallo André,
vielen Dank für Deine Zeit und Deine Worte.
Ich war schon zweimal vor Ort, jeweils am Abend. Das erste mal hat mir der Verkäufer (ist nicht der Besitzer) noch den Mast gezeigt, der schön gerade auf einem Hochregal liegt, und im Büro Unterllagen, u.a. Originalquittung und Fotos von der Deckserneuerung. Bei der Gelegenheit gesehen, dass der Rumpf aus Lärche ist, im Freibord mit pfeifengeraden, engen, stehenden Jahrringen. Das hat mich derart berührt, dass ich eine zweite Besichtigung gemacht habe, wo ich dann alleine den Rumpf inspizieren konnte.
Es hat also schon richtige Baustellen. Morsche Planken und Bodenwrangen. Im hinteren Teil des Totholzes, vor dem Ruder, kann man durchgucken. Die Farbe blättert ab. Innen sieht man beim hintersten Kielbolzen deutliche Rostläufe. Gebrochene Spanten habe ich keine gesehen. Aber weisse Ablagerungen die ich nicht einschätzen kann. Was ist das?
-Mein Eindruck ist so, an dem Boot wurde gepfuscht oder gefrevelt, wie man will, und der Besitzer hat ausgewassert bevor sich offensichtlicher Totalschaden breitgemacht hat.
Da ich ja schon die Idee im Kopf hatte hier um Rat zu fragen, habe ich ein haufen Fotos gemacht. Kann die jetzt am Wochenende mal büscheln, hochladen und kommentieren. Wenn Du mir da weiter zu Deine Gedanken mitteilen möchtest, wäre das von mir hochgeschätzt, und hoffe kann mich irgendwie revanchieren.
Hier mal Bilder zur weissen Ablagerung, die Du explizit erwähnst, und Pilze, das ist ja wie Eisberge, nur ein kleiner Teil guckt oben raus. Im Schiff ist das hinter dem Ruderkorker, auf Höhe Wasserlinie..https://postimg.org/gallery/22zse2qlc/ .

Der Wert eines regelkonformen, regattatauglichen Drachens ist sicher höher, und die Klassenvorschriften studieren, Pläne und Zeichnungen beschaffen, das gibt einem ja auch gute Leitfäden für die Reparatur. Zum Thema Geld, möchte da nicht abschweifen, der intellektuelle Spass einer handwerklichen Antwort auf Mario Draghis quantitative Superorgie sei erlaubt, mir steht eine ideale Infrastruktur in wohlgesinntem Umfeld zur Verfügung und ich könnte mein Gespartes zu 90% in qualitativ gutes Material und Ausrüstung stecken, im Lauf der nächsten Jahre... und in zehn, fünfzehn Jahren, zum hundert Jahr Drachen Geburtstag hat man dann wenigstens was.... blablabla.
Übernächste Woche kommt der Besitzer irgendwie wieder und dann wäre noch Gelegenheit nach Geschichtlichem zu fragen, ja und dann müsste ich wohl ein Angebot unterbreiten oder ablehnen

so weit, Ahoi!


P.S.
Voilà die restlichen Bilder, betitelt und so geordnet, wie ich mir das nachvollziehbar vorstelle. Wenn sich da wer durchklicken und kommentieren möchte, gerne. Es ist halt schon etwas ernüchternd. https://postimg.org/gallery/25tyn8www/
Noch eine interessante Geschichte war, das Schiff sei letztes Jahr schon mal mit unterschriebenem Vertrag nach Deutschland verkauft worden, das Geschäft ist aber nie zustande gekommen.


potpourrie
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Re: südlich von Deutschland

Beitrag von potpourrie » So 19. Jun 2016, 19:19

Hier noch ein bisschen mühsam zusammengestöpselter Text, zu den Bildern oben, der Versuch zu beschreiben was ich gesehen habe, und wie ich mir das vorstelle. Ich wäre zuallererst dankbar und froh um Warnungen vor KO-Kriterien. Da dies das Geschichtliche Forum ist, wäre die Frage nach der Werft, und was denn damals so für Materialien für den Bootbau zur Verfügung standen nochmal angebracht. Wenn da jemand Geschichten zu hat, gerne. Mir hat google erzählt, Köpenick 1950, nachdem der Krieg 3000 von 12000 Häusern zerstört hat, wurden 1950 die ersten wieder aufgebaut, galt so als grünes Viertel von Berlin, die Soviets hatten während der Verhandlungen ihr Hauptquartier dort. Im Yachtarchiv habe ich gesehen, es gibt noch andere Boote von der Werft. Habe hier auch von den Vermessungsformeln gelesen, und dass der Bootbau bestimmter Klassen mit Verboten belegt wurde, was für die Drachen aber wohl nicht zutrifft, die 1948 olympisch wurden und denen 1950 eigentlich die Kajüte offiziell gestrichen wurde. So glaube ich gelesen zu haben, im Internet.
Und persönlich, das Forum zum Eigennutz misbrauchend, wäre ich auch an Perspektive von erfahrenen Seglern und Bauleuten interessiert, um das Praktische etwas besser abschätzen zu können. Die Klassenvorschriften studieren stünde jetzt schon mal zuoberst auf der Liste. Dann die Schale allgemein, mit den Rissen, ich gehe ja fast davon aus, dass da Leisten beidseitig verklebt wurden und kann nachvollziehen, dass man konsequenterweise überlaminieren sollte. Den Ballastkiel abschrauben und bei der Gelegenheit behandeln (lassen), Bolzen kontrollieren, ersetzen, davon gehe ich fast aus. Das Ruder neu bauen, sicher auch zuerst die Klassenvorschriften beachten, aber wie ist das bei einem Langkieler, je absatzloser und profilgerecht strakend der Übergang vom Kiel, je effiziener, oder kein Unterschied zum Sperrholzbrett bemerkbar? Mich erstaunt da ja auch das senkrecht stehende Totholz. Gibt es da einen Grund für? Der Ruderkorker, die Abstützleisten unter Deck, das ist auch nicht zufriedenstellend. Ob das Rohr original ist? Dito für die Rüsteisen vom Vorstag. Sind die durch den Kiel gebolzt? Es ist ja auch rott dort. Weit oben auf der Liste stünde dann auch Holz besorgen, damit es sich möglichst lange klimatisch angleichen kann. Da müsste ich die Menge abschätzen können. Jetzt mal nur Lärche und Eiche. Überraschungen, Verschnitt, Reserve mit eingerechnet. Ich gehe mal davon aus, dass der Kiel keine grössere Reparatur benötigt, wenn da anhand der Bilder jemand das Gegenteil erwarten würde, bitte melden. Ich geh auch so davon aus: da muss die Farbe weg, dann sieht man klarer woran man ist. Gleich anschliessend würde ich mich für ein Farbsystem entscheiden wollen, innen sowieso, und aussen für den Fall, dass es ohne laminieren geht, auch. Vielleicht sollte ich mir ein Feuchtigkeitsmessgerät zutun, irgendwo hier gelesen, Holz könne auch zu sehr austrocknen und seine Festigkeit und Quellverhalten verlieren. Das muss ja nicht sein, noch mehr kaputt zu machen. Ziel müsste sein, nächsten Sommer ins Wasser, Unterwasser in Ordnung, Freibord evtl. nur soweit es sich nicht vermeiden lässt. Mast draufstellen, zwei, drei Wochen ausprobieren, den See hier geniessen und wieder rausnehmen. Das wäre ein toller Erfolg. Ich würde das Schiff vorerst eh ganz auf Trailerbetrieb ausrichten wollen. Scheuerleiste wegnehmen, Decksbeschläge wechseln, Schotführung optimieren, das bliebe vorerst pendent. Wie auch die Bodenbretter, das Kajütdach, und überhaupt, das nackte Sperrholzdeck von unten behandeln. Dann fehlt auch noch ein Spinackerbaum, Bootshaken und Paddel. Vom Zeitaufwand für die Arbeiten am Rumpf hätte ich zwei oder drei Wochen zur Verfügung, evtl Anfang September, das liesse acht Wochen und Wochenenden Zeit zum vorbereiten. Anschliessend würde das Schiff unter einem Vordach überwintern. Ruder und Ruderkorker könnte man im Frühling noch montieren, und auch den Mast inspizieren. Für Einschätzungen ob das so machbar ist, oder ob ich da völlig daneben liege, wäre ich dankbar. Vielleicht weiss jemand auch einen guten Grund, wieso man das unbedingt machen sollte, aber eben, Warnungen vor Problemen oder Fehlern die man machen kann, wären mir fast lieber.
Im voraus schon mal danke, wenn ihr wollt gebe ich dann noch Bescheid ob aus Spass Ernst wird, oder ob ich kneife. Dann kann man ja eventuell das verfehlte Thema hier wieder löschen.
danebrog

Re: südlich von Deutschland

Beitrag von danebrog » Mo 20. Jun 2016, 08:43

Hallo

Junge, Junge, ganz schön verkopft, das Ganze. ;) Weil ich vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sehe, die Frage: Hattest Du einen Bootsbauer o. Ä. dabei, der Dir bei der Einschätzung helfen könnte?

Auf eine Ferndiagnose kann und möchte ich mich nicht einlassen, auch mit dem Klassenreglement darfst Du Dich selbst (liebevoll gemeint) "amüsieren".

Vielleicht hilft Dir aber der Querverweis, dass bei Willi Lehmann in Woltersdorf, also in der unmittelbaren Nachbarschaft, 1952 zwei Drachen ("Knechtsand", siehe hier im Yacht-Register und die "Helgoland") für den Magistrat (Verwaltung von Ost-Berlin, entsprach dem Senat von West-Berlin) gebaut wurden.

Wenn Du im Yacht-Archiv das Baujahr 1950 aufrufst, sieht man schnell, dass aus DDR-Zeiten überwiegend nur kleine Boote, d. h. Jollen und Jollenkreuzer übrig geblieben sind, was die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Zeit und des Ortes (Gründung der DDR Okt. 1949) widerspiegelt. Und das auch nur, weil diese im Privatbesitz über die Jahrzehnte erhalten und gepflegt wurden.
Ich vermute, dass größere Boote wohl eher den Betriebssportgruppen und Vereinen gehörten - mit entsprechendem Verschleiß. Insofern dürfte der Drachen schon etwas ganz Besonderes sein!!

Und wenn Du Dich hier auf der Homepage im Yacht-Register weiter vertiefst, wirst Du auf die alten DDR-Verzeichnisse stoßen ...

Viel Erfolg und Grüße
Dagmar
potpourrie
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Re: südlich von Deutschland

Beitrag von potpourrie » Do 23. Jun 2016, 01:04

hallo danebrog,
danke für das Stück Wald. Ist ja lustig, dass das Schiff in der Schweiz gelandet ist. Das Inserat ist nicht mehr online. Ich denk mir den Rest. Mal schauen ob ich noch was höre. In Sachen verkopft gibt's noch ganz andere Ghule und Zombies, imho.

Viele Grüsse
pfister
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Re: südlich von Deutschland

Beitrag von pfister » Mo 27. Jun 2016, 14:07

hallo potpourrie,
die "Tornyn II" hat mir gehört, hab sie 1986 von einem bootsbauer in arbon (ch) gekauft hr. George Smith, arbon ...kann dir näheres mitteilen wenn du mir ein mail schickst.
ist an den vierwaldstättersee verkauft worden, in einem sehr guten zustand, wurde leider nicht gepflegt und von unerfahrenen gesegelt....habe das leider erst später erfahren....hätte sie nie verkauft!!!! der name "Tornyn" ist eine delfin art in cap town, die "Tornyn I " war eine kleine segelyacht für die gewässer um cap town gebaut.....(war in meinem besitz) aus afrikanischen hölzer....
p.pfister
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Re: südlich von Deutschland

Beitrag von pfister » Mo 27. Jun 2016, 14:11

die fockleitschiene ist auch als backstag schiene verwendet worden....alles orginal von 1950, nur die winschen sind für's einhandsegeln angebracht worden und so nicht von 1950....
pfister
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Re: südlich von Deutschland

Beitrag von pfister » Mo 27. Jun 2016, 14:23

die scheuerleiste wurde von mir angebracht, hat sehr gute dienste geleistet!!!!! orginal farbe war dunkel grün!!
pfister
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Re: südlich von Deutschland

Beitrag von pfister » Mo 27. Jun 2016, 14:34

die namen seit 1950: "Ralle" - "Tom" - "Unda" - "Mecki" - "Tornyn II"
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