Rumpfgeschwindigkeit?!

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danebrog

Rumpfgeschwindigkeit?!

Beitrag von danebrog » Mo 30. Sep 2013, 17:07

Hallo zusammen!

Gestern Mittag auf dem Bodensee: 5 Bft. und tiefer, grauer Himmel. (Ein Hauch von Förde-Feeling ;) ) Der Blick auf das in der Pinne vom E-Motor integrierte GPS verrät öfter über 10 km/h, sogar 12 km/h als Höchstgeschwindigkeit.
Heute bin ich im Netz auf die Suche nach der Formel für die Rumpfgeschwindigkeit gegangen und glücklicherweise genügt die Eingabe der LWL (hier: 5,40 m), um den Wert zu erhalten. Heraus kam bei A 5,65 Knoten und bei B (gerundet) 10 km/h. Kann das sein und wenn ja, warum?

Denn es spricht eigentlich alles dagegen: Unter Vollzeug haben wir ziemlich Lage geschoben, was mir kindliche Freude bereitet, aus meinem breithüftigen Kielschwertkreuzerchen (Niedersachsenjolle mit Skeg, Yardstick 117) aber noch längst keinen Schärenkreuzer macht. ;) Auch der Motorschacht, in dem das Wasser bauartbedingt überaus lustig gluckert und nebenbei noch regelmäßig das Achterpiek samt Bilge über die gesamte Länge flutet, sowie der nicht klappbare Propeller, der aus Faulheit mitsamt dem Motor im Schacht verbleibt, dürften wohl eher bremsend wirken. Das Gesamtgewicht der Crew lag im Normalbereich (180 kg). Zum Ausgleich dafür sind die Backskisten bodenseezulassungspflichtig zugekramt.
Da sich mir die höhere Mathematik nicht erschlossen hat, ich Schiffbau nicht gelernt habe und auch nicht der Meinung bin, die Gesetze der Physik aushebeln zu können, hoffe ich, das mir jemand dieses "Phänomen" erklären kann. ;)

Vorab vielen Dank und viele Grüße!
Danebrog
fg-1064
Beiträge: 478
Registriert: Sa 16. Mai 2009, 23:50

Re: Rumpfgeschwindigkeit?!

Beitrag von fg-1064 » Mo 30. Sep 2013, 17:18

Moin Dagmar,

selbst ein Verdränger wie das Folkeboot ist in der Lage die Rumpfgeschwindigkeit von rund 6 kn zu überschreiten: bei "Sturm" von achtern und schiebenden Wellen sind locker 7 kn Durchschnitts(!!)-Geschwindigkeit (durchs Wasser, also ohne Strom) drin.

Die Rumpfgeschwindigkeit ist ein theoretischer Wert, der bei optimalen Bedingungen geringfügig überschritten werden kann.

Grüße!
Jan
manfjacob

Re: Rumpfgeschwindigkeit?!

Beitrag von manfjacob » Mo 30. Sep 2013, 17:28

Moin Danebrog,
die Sache ist eigentlich ganz einfach. Die Rumpfgeschwindigkeit ist, wie Du schon sagst von der Länge des Bootes in der aktuellen Wasserlinie abhängig. Deine Niedersachsenjolle hat Überhänge, wenn sie Lage schiebt ist die Wasserlinie länger als 5,40 m. Deine Rumpfgeschwindigkeit bei Lage ist größer als ohne Lage. Der Einbaumotor reduziert nicht die Bootslänge :-), spielt also keine Rolle bei der Rumpfgeschwindigkeit. Du brauchst nur etwas mehr Wind um mit Einbaumotor Rumpfgeschwindigkeit zu laufen, als wenn Du keinen Motor hättest.
Ahoi
Manfred
Martin Lamprecht
Beiträge: 25
Registriert: Mi 13. Jul 2011, 20:37

Re: Rumpfgeschwindigkeit?!

Beitrag von Martin Lamprecht » Mo 30. Sep 2013, 20:31

Moin,

das ist eigendlich alles kein Geheimnis:

Jedes Fahrzeug, daß sich in der Nähe der Wasseroberfläche bewegt
(auch ein ganz knapp getauchtes U-Boot) erzeugt Schwerewellen
auf der Oberfläche. Dazu ist Energie nötig. Leider haben die
Wellen die Angewohnheit, sich vom Schiff wegzubewegen und die
ihnen innewohnende Energie mitzunehmen. Das Wasserfahrzeug erzeugt
also bei Fahrt ständig neue Wellen und muß dafür ständig Energie
aufwenden, die entweder vom Wind oder aus dem Dieseltank kommen
muß.

Der Rumpf "spürt" diesen Mechanismus als Widerstand, der (wenig
überraschend) "Wellenwiderstand" genannt wird; nicht zu verwechseln
mit dem Zusatzwiderstand, der durch Seegang verursacht wird.

Je höher die erzeugten Wellen sind, umso größer ist der Widerstand.

Die Laufgeschwindigkeit einer Schwerewelle hängt von der Wellenlänge
ab: Kurze Wellenlänge -> niedrige Geschwindigkeit, lange Wellen ->
hohe Geschwindigkeit.

(Tsunami = Wellenlänge etliche Kilometer auf tiefem Wasser ->
extrem hohe Geschwindigkeit)

Umgekehrt gehört zu jeder Geschwindigkeit eine Wellenlänge.

Wenn Du nun die Geschwindigkeit vorgibst, indem Dein Schiff mit
einer bestimmten Geschwindigkeit fährt, dann stellt sich auch ein
Wellenbild mit einer entsprechenden Wellenlänge ein.
Bei ganz geringer Geschwindigkeit bilden sich viele kleine Wellen.
Bei steigender Geschwindigkeit werden die Wellen weniger und länger.
Wie hoch sie werden (und damit der Wellenwiderstand) hängt davon ab,
wie die Wellen sich gegenseitig überlagern.

Bei Sportbooten gibt es oft eine besonders markante Bugwelle und eine
ausgeprägte Heckwelle. Ein besonders ungünstiger Zustand ist dann
erreicht, wenn es NUR noch eine Bugwelle, dahinter ein tiefes Tal
und eine Heckwelle gibt und die beiden sich genau so überlagern,
daß sich die Höhe der Wellenberge gerade addiert. Dann entspricht der
Abstand von Bug- und Heckwelle etwa der Wasserlinienlänge.

In diesem Zustand wächst der Wellenwiderstand sehr stark an. Oft so stark,
daß eben die Antriebsleistung von Motor oder Segeln keine höhere
Geschwindigkeit zulässt.

Es ist aber in keinster Weise ein Gesetz, daß ein Schiff nicht schneller
(sogar SEHR viel schneller) fahren könnte, als diese sog. "Rumpfgeschwindigkeit".
Du mußt nur die erforderliche Antriebsleistung zur Verfügung stellen.

Dazu kommt, daß sich die Position von Bug- und Heckwelle am Rumpf bei
hoher Fahrt ändern kann (z.B. bei schlanken Schärenkreuzern mit langen
Überhängen an den Schiffsenden). Dann sagt die Wasserlinienlänge im
Ruhezustand erst recht nichts über den Wellenwiderstand aus.


Schöne Grüße
Martin


Folke_G79
Beiträge: 32
Registriert: Do 14. Apr 2011, 21:11

Re: Rumpfgeschwindigkeit?!

Beitrag von Folke_G79 » Mo 30. Sep 2013, 23:52

Martin Lamprecht schrieb:
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> Es ist aber in keinster Weise ein Gesetz, da� ein
> Schiff nicht schneller
> (sogar SEHR viel schneller) fahren k�nnte, als
> diese sog. "Rumpfgeschwindigkeit".
> Du mu�t nur die erforderliche Antriebsleistung zur
> Verf�gung stellen.


Zumal die Definition der Rumpfgeschwindigkeit äußerst willkürlich ist.

Es gibt im Schiffbau eine auf die Schiffslänge normierte Geschwindigkeit, die Froudsche Zahl, oder auch Froudezahl genannt (nach dem englischen Schiffbauingenieur William Froude (1810-1879)). Diese trägt der Tatsache Rechnung, dass die Geschwindigkeit eines Schiffes sehr relativ ist. So sind 10kn für ein großes Containerschiff sehr wenig, für eine kleine Segelyacht jedoch sehr viel.

Wie Martin schon geschrieben hat steigt der relative Wellenwiderstand mit der Geschwindigkeit, genaugenommen mit der Froudezahl, also der "gefühlten" Geschwindigkeit. Als Grenzwert für die Rumpfgeschwindgkeit ist eine Froudezahl von 0,4 festgelegt. Um diesen Wert rum steigt die Widerstandskurve plötzlich sehr steil an, da sich Bug und Heckwelle des Schiffe ungünstig überlagern.

Nun ist die Froudezahl so definiert, dass bei gleicher Geschwindigkeit ein großes, sprich langes Schiff einen kleineren Wert hat als ein kleines, sprich kurzes Schiff. Im Umkehrschluss dazu kann also ein langes Schiff eine höhere absolute Geschwindigkeit erreichen bis es auf diese Grenze trifft als ein kurzes. Daher auch der Spruch: Länge läuft.

Allerdings sieht die Widerstandskurve je nach Schiffstyp etwas anders aus. So kann der plötzliche Anstieg auch erst bei einer etwas höheren Froudezahl als 0,4 auftreten. In diesem Fall würde das Schiff also bei gleichem Widerstand (sprich nötiger Antriebsleistung) eine höhere Geschwindigkeit erreichen als es die "Rumpfgeschwindigkeit" vermuten lässt.


Ich hoffe, das war jetzt einigermaßen verständlich.


Gruß Carsten
danebrog

Re: Rumpfgeschwindigkeit?!

Beitrag von danebrog » Do 3. Okt 2013, 20:26

Gentlemen!

Allen, die hier mit ihren Beiträgen - sogar schnellstmöglich! - für Erkenntnisgewinn gesorgt haben, herzlichen Dank!!

Viele Grüße!
Dagmar
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