Rumpfgrenzgeschwindigkeit

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holzbleibtholz
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Rumpfgrenzgeschwindigkeit

Beitrag von holzbleibtholz » Fr 7. Sep 2007, 08:58

Moin,

mal eine generelle Frage zum Thema Rumpfgrenzgeschwindigkeit bei Segelyachten:

Sehr erfreut durfte ich in diesem von stärkeren Winden geprägten Jahr feststellen, dass mein guter, alter Langkieler, ein wirklich nicht für’s Gleiten tauglicher Utzon-Spitzgatter von 4 to, wohl häufiger mal seine theoretische Rumpfgrenzgeschwindigkeit deutlich überschreitet.
Nach meinem Verständnis liegt die RG für Verdränger bei CWL(hoch -2) x 2,43 (also Quadratwurzel aus der Länge der Konstruktionswasserlinie x 2,43).
Das wären bei meinem Schiff also 6,42 kn, die theoretisch nicht überschritten werden könnten.
Da nennenswerte Überhänge kaum vorhanden sind, die Bugwelle sich nur wenig am Steven hochschiebt und die (sehr eindrucksvolle) Hecksee fast bis zum Deck hochgezogen auch keine wirksame Verlängerung bringt, frage ich mich, warum ich nach unabhängigen und gleichzeitigen Messungen zweier GPS-Geräte mit nur kleiner Streuung gestern abend z.B. über 1,5 nm weit mit 7,4 – 7,7 kn vorwärtsgekommen bin, und zwar fördeein- und auslaufend gleich schnell, einmal auf Bb-, einmal auf Stb-Bug, auf gleicher Höhe zwischen Laboe und Wentorf, sodass Strom hierbei keine Rolle spielte. Da ich bisher noch gar kein GPS besitze und die Geräte erst einmal testen wollte, waren mein sehr GPS-kundiger Mitsegler und ich schon einigermaßen erstaunt...
Der Ruderdruck war bei diesen Geschwindigkeiten übrigens außerordentlich gering, so wie ich es von 38 Jahren Schwertbootsegelei vom Gleiten gewohnt war...
Eine konventionelle Logge hat mein Schiff nicht (und ein Echolot ist erst seit diesem Jahr an Bord), ich bin bisher auch 40 Jahre lang gut ohne diese Navigationshilfe aus- und überall angekommen.
Bleibt die Frage: Warum geht es so schnell, wenn es „gar nicht geht“?
Martin Kröger
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Re: Rumpfgrenzgeschwindigkeit

Beitrag von Martin Kröger » Fr 7. Sep 2007, 16:46

Moin Holz,

die von Dir berechnete Geschwindigkeit ist die "theoretische Rumpfgeschwindigkeit". Das heisst aber nicht, das es nicht Faktoren gibt, die es möglich machen diese Geschwindigkeit mit einem "Verdränger" zu überschreiten..........man denke da an die schlanken, langen Motorboote der frühen Generationen!

So einfach lässt sich die max. mögliche Geschwindigkeit einer Yacht nicht bestimmen. Die Formel dient ehr als grober Anhalt. Zu viele Faktoren bestimmen die mögliche Geschwindigkeit, z.B.:
-Bugform
-Rumpfform
-Heckform
-Spiegelform
-Gewicht
-Schwerpunkt
-Schwerpunktveränderung bei hoher Fahrt
-Längstrimm
-Krängung

gerade unser "Vorväter" hatten es echt drauf Yachten zu konstruieren, die die theoretische Rumpfgeschwindigkeit überschreiten konnten, ohne in einen Gleitzustand zu kommen.

Die Theorie zu diesem Thema ist sehr komplex und bedürfte einer weit ausholenden Darstellung, darum mögen die Fachleute unter uns meine "dürftige" Kurzfassung entschuldigen.

Gruss Martin
Jan Huerkamp
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Re: Rumpfgrenzgeschwindigkeit

Beitrag von Jan Huerkamp » Do 13. Sep 2007, 09:20

Hallo Holz,

Die Geschwindigkeit einer Welle hängt nur von ihrer Länge ab (z.B. Wellenberg zu Berg). Die Näherungsformel dafür hat Martin ja gegeben, nur dass man statt der Wasserlinienlänge die Wellenlänge einsetzt. Vereinfacht gesagt, kann ein Verdränger also mit der Geschwindigkeit fahren, wie sich die Welle fortbewegt, die er erzeugt (natürlich ohne Seegangseinfluß = Surfen). Würde ich mal schätzen, dass das eigene Wellensystem doch etwa 2,5m länger war, als dein Boot. Flott!

Bis dann, Jan Huerkamp

PS: Wenn du mal deinen Namen unter den Beitrag schreibst, müssen wir dich auch nicht mit HolzaufHolz anreden
Takel-Ing.de
holzbleibtholz
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Re: Rumpfgrenzgeschwindigkeit

Beitrag von holzbleibtholz » Do 13. Sep 2007, 09:59

Moin Jan,

tja, der gute Aage Utzon verstand eben sein Handwerk - und die Eigner seiner Kreationen haben ihr Gutes davon.
Aber ehrlicherweise muss man natürlich sagen, dass dieser Effekt nicht seine Erfindung war, sondern - eine günstige Formgebung unter Wasser vorausgesetzt - von jedem verdrängenden Wasserfahrzeug genutzt werden kann. Ich habe schon manches Mal beobachtet, dass die respektable Hecksee natürlich nicht vom Heck abreißt, wie ich es bei meinen Jollenrümpfen beim Gleiten erlebte, sondern sich erheblich in die Länge zieht.

Ganz erfreulich war übrigens auch die Erkenntnis, dass es günstige Interferenzeffekte gibt, die Bug- und Heckwelle bei mittleren Geschwindigkeiten so ineinanderfallen lassen, dass mein Schiff bei 4 bis 4,5 kn praktisch überhaupt kein Wellensystem nach außen abgibt. Da wird also der Formwiderstand sehr günstig beeinflusst. Auch dieses lässt sich sicher bei anderen Schiffen und anderen Geschwindigkeiten beobachten...

Med venlig hilsen

Jens
André bauer
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Re: Rumpfgrenzgeschwindigkeit

Beitrag von André bauer » Do 13. Sep 2007, 22:58

Moin,
genau das ist auch der Effekt, der durch den Wulstbug an großen Schiffen genutzt wird.
Wahrscheinlich hält der Zustand bei Deinem Boot auch bei höheren Geschwindigkeiten an,
nur das die Welle dann wegen der höheren Geschwindigkeit auch wieder wächst.
Irgendwo hat das natürlich Grenzen. Aber das dürfte ein Gutteil der hohen Geschwindigkeit ausmachen.
Generell läßt sich sagen, je kleiner die vom Schiff erzeugten Wellen, je kleiner auch der Widerstand, mit dem das Schiff durchs Wasser geht.
Also, wenn Dein Boot bei 4,5 Kn einen Widerstand erzeugt, der von anderen bei meinetwegen 3 Kn erreicht wird, verschiebt sich damit auch die Höchstgeschwindigkeit.

Grüße
André
Gruß,
André

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