Klassiker oder nicht?

Ingo List

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von Ingo List » Sa 21. Jan 2006, 09:47

Ich muss ergänzen: Auch Stahl! Klassisch ist eben das, was seit Jahrhunderten im Schiffbau eingesetzt wird. Das ist sicher keine abschließende Definition und es gibt Grenzfälle.
Anne

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von Anne » Di 31. Jan 2006, 09:39

Hallo,
Folkeboot = Golf I (oder Brezelfensterkäfer?)
Pazifik 28 oder Königskreuzer 29 = S-Spant, Langkiel, (gem. Langkiel),
Yachtheck und - steven (aber?) ab ca. 1965 aus GFK.
Gruss Kay
Christoph Geyer

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von Christoph Geyer » Mo 3. Apr 2006, 19:32

Ahoi,
Für einen Produktdesigner wird ein Erzeugnis zum Klassiker, wenn es über relativ lange Zeit seinen Wert als beispielhaft gelungenes Spitzenprodukt in technisch-funktioneller, wirtschaftlicher und ästhetischer Hinsicht behält. so wie bei einem Kunstwerk wird das Wesen und der Gebrauchswert durch die Gestaltung vermittelt und im Gebrauch Genuss bereitet. Weil ein Wikingerboot, ein Kutter der Jahrhundertwende, ein Drewitz-Riss oder Fife-Riss die bestmögliche Anpassung an den angestrebten Verwendungszweck, die technische Funktionalität und die Herstellungsmöglichkeiten darstellen und das auch ästhetisch vermitteln, "what right is looks right" oder moderner "form follows function", empfidet nicht nur der geschulte Bootskenner was ein Klassiker ist.
Wenn dann aber der Blick vom elegant die Bugwelle durchschneidenden Steven abgelenkt wird durch das harte Knattern eines Kevlarsegels, ist der Zauber dahin. Ohne Autentizität verliert jedes Klassische Design seine Glaubwürdigkeit. Das ist zum Beispiel der Nachteil jedes sogenannten Retroklassikers. Ein modernes Design, welches mit Stil- und Material-Zitaten an Bedeutung gewinnen soll entlarvt sich so als Kitsch.
Christoph Geyer (Diplom-Designer)
rainer

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von rainer » Fr 5. Mai 2006, 17:25

hi gemeinde,
die beschreibung eines klassikers von christoph gefällt mir gefühlsmäßig und spontan gut. womit wir kleinen people außerhalb monacos oder hamburgs uns aber eher schwertun, ist die qualität des damaligen produktes, das ja per definition ein spitzenprodukt war. wer kann schon mit einem spitzenprodukt aufwarten. sind dann nur a&r-piraten klassiker? oder eben daimler benz?
mein kleiner schratz ist für seine 6 m sehr langsam, untertakelt, eine hybris aus angelkahn und 20er rennjolle, da man nach dem krieg kein geld für ein "anständiges" boot hatte (darunter verstanden die bayern eben die 20er rennjolle), aufgrund der konstruktion sehr instabil, mit splintholz übersät, wo nicht, da haben sie liegende maserung genommen, das rigg ist ne katastrophe und ich käme nie auf die idee, dass dieses stück persönlicher familiengeschichte ein klassiker wäre, wenn mich nicht andere leute darauf ansprächen und immer ganz hin und weg sind. klassisch ist doch eine j-jolle oder h-jolle, aber ein no-name arme leute boot?
daher eine neue idee:
die erste reaktion der echten genießer (die zuschauer, denn die müssen ja nicht an den dingern werkeln) ist doch immer: das waren noch zeiten! vielleicht ist ein klassiker einfach ein stück konstruktionsgeschichte, die gegenwärtig so nicht mehr betrieben wird, mithin einen erinnerungswert besitzt. auch ein schratz - den ja viele für ne h-jolle halten - sieht eindeutig so aus, als ob sowas heute keiner mehr baut. eben auch die langen nadeln, die gibt es quasi nicht mehr und erinnern einen einfach an vergangene zeiten. die alten jollis wurden ja noch in den frühen 70ern verhökert oder verbrannt, solange die neuen genauso aussagen. jetzt haben sich die neuen grundlegend geändert und die alten sind einfach unverwechselbar alt und stehen damit auch für eine ander zeit und einen vermeintlich andere lebensauffassung. und die besitzer outen sich dadurch eben auch als individualisten. erzähl doch mal einem zuschauer, dass du das boot segelst, weil es billig, schnell, und bequem ist, du es fährst bis es eben zu alt wird und dir das aussehen völlig schnuppe ist. dem platzt die illusion von der schönen welt doch wie eine seifenblase und zeigt dich gleich beim hafenmeister wegen kulturgutschändung an.

oder um mit den autos von martin zu sperchen:
ein golf 1 sieht einfach noch zu sehr nach einem ganz alltäglichen auto aus, man könnte sagen, es ist die mutter aller deutschen fließheckwagen, auch wenn renault das schema schon 10 jahre vorher mit dem r16 vorgegeben hatte. ein käfer dagegen sieht wirklich uralt aus aber ist per definition oft kein echter oldtimer, weil er eben noch in den 80ern in mexiko gebaut wurde. aber niemand würde dem käfer denn klassikerstatus aberkennen, nur weil er erst 20 jahre alt ist.
der unterschied bei neu- und altkäfer ist ja nicht eine replik und original, sondern, dass der alte eben noch lebt. da hat sich offenbar jemand die mühe gemacht und das ding am tuckern gehalten. damit ist aber autmatisch auch der besitzer oder vielmehr der langjährige ex-eigner ein teil des klassikers, weil es den ohne ihn nicht gegeben hätte.
ja und dann fahr mal mit nem golf 1 und einem r16 an der tankstelle vor. ( bin seit jüngstem ein r16-eigner) welcher golffahrer wird wohl von damen! und herren mit sehnsuchtsvollen augen umringt obwohl die karren sich ja nicht unähnlich sind und z.t. zeitgleich produziert wurden. aber der eine steht für "die gute alte zeit" und der andere ist der beginn allen übels.
somit kommt man um den subjektiven faktor nicht herum.
ich denke, das boot oder das "technische kulturgut" - wie es bei den h-nummernschildern bei den autos heisst - muss symbolisch für einen bestimmten zeitabschnitt stehen, der noch halbwegs deutlich in unserer erinnerung vorhanden ist und das gute stück muss noch einen gewissen alltagswert haben (ne hansekogge ist eben kein klassiker).
soweit etwas von der gefühlten klassikerfront.

Christoph Geyer

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von Christoph Geyer » Fr 5. Mai 2006, 22:52

Ahoi Rainer,
Sicher ist eine klassische Chiemsee-Jolle ein Klassiker, sofern sie durch die erhaltene Substanz genau das zeigt wofür sie steht - Alltagstauglichkeit. Unästhetisch ist sie keinesfalls und gerade wegen ihrer Eigenheiten überlebensfähig und erhaltungswürdig. Autentizität ist schon ein wichtiges Kriterium. Wertvoller als die beste Replik ist eben immer noch ein Original - auch wenn es seine Macken hat. Was im Sog der Begeisterung für unsere Originale an Retro- und Pseudo-Klassikern entstanden ist wird später nur in Ausnahmefällen zum Klassiker, genau so wie die Gründerzeit-Möbel. So ganz egal ist Dir das Aussehen wohl doch nicht?
Bis bald
Christoph
wladi

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von wladi » Mi 9. Aug 2006, 10:19

Hallo,
Funktionalität bei echten Klassikern? Die Boote wurden schon damals an die Rennformel angepasst, daher niedrige Bordwände und lange Überhänge. Das ist aus Sicht der Funktionalität völlig kontraproduktiv. Sieht aber schön aus. Ich finde, dass die sogenannte Retroklassiker genau diese Probleme beheben. Segeltechnisch sind das einfach bessere Boote. Und Kevlarsegel werden dort auch nicht unbedingt eingesetzt, schon gar nicht für Fahrtenschiffe. Siehe www.sol-6.de
Gruss
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Kay
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Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von Kay » Mo 28. Aug 2006, 23:40

Moin Moin zusammen, bin neu im Forum aber in der "Szene" schon etwas älter. Hatte bis vor 6 Jahren eine sog. klassische Yacht und nahm auch an Veranstaltungen des FKY teil. Ich war sogar Mitglied. Als ich mir dann eine Bianca 27 kaufte (für Nichtkenner, aus GFK !) habe ich mich "klammheimlich" davon gemacht ("....Entschuldigung Wilfried !!!"). Nun, ich gehörte mit der Yacht wohl auch nicht mehr dazu. Nun sind die Bianca`s auch über 30 Jahre alt, haben eine interessante Geschichte, sind recht hübsch in den Linien und zu Restaurieren gibt es für einen Bootsliebhaber & Handwerker auch hier genug. Schnell fand ich Gleichgesinnte, Leute die wie im FKY, ihr Schiff lieben und mit großem Einsatz erhalten und verschönern. Eigner die mit Stolz und Überzeugung eine Bianca 27 im Hafen liegen haben. Diese Leute können komischerweise den heutigen Großserienbooten auch nichts abgewinnen, obwohl die Bianca`s, Bandholm, u.A. der Anfang jener Entwicklung war. Im Falle der Bianca 27 sehr erfolgreich, es wurden zwischen 1966-1979 etwas mehr als 500 Boote gebaut. Das Ur-Modell, von dem die Formen stammen, war aus Holz für diesen Zweck gebaut und soll heute noch in Dänemark segeln. Ich habe einen kleinen Bianca 27-Club gegründet und veranstalte ein jährliches Treffen in Höruphav/DK am Himmelfartswochenende. Beim letzten Treffen waren so 19 Bianca`s vereint. Zudem kamen noch Eigner mit dem Auto angereist. Kontakt habe ich zu etwa 60 Eignern in Deutschland und Dänemark, Tendenz steigend. Es gibt noch andere Clubs z.B. Bandholm. Ihr seht, eine Szene wächst heran. Wobei ich der Meinung bin, das der FKY bei den "klassischen, hölzernen & stählernen Yachten und Jollen bleiben sollte. Das Specktrum ist schon Breit genug und nach wie vor das schönste. Dennoch sollten die Leute von der "Bretterboot-Fraktion" nicht mehr nur Nase rümpfend auf die "Yoghurtbecher" herabschauen. Toleranz ist hier das Zauberwort. Wer weiß, vielleicht wird es in 10-20 Jahren ebenso selbstverständlich GFK-Klassiker-Treffen geben, wie es sie jetzt schon bei den Holzbooten gibt. Ein erstes Typen-übergreifendes Treffen gibt es am 08-10 Sept. 2006 in Maasholm, initiert von einem Berliner "Nordisk Snekke" Eigner. Es werden auch einige "meiner" Bianca 27-Leute das Bild abrunden. Ich freu mich darauf !!! LG. Kay
Gute Wache !
Kay

www.bianca27.net
Christoph Geyer

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von Christoph Geyer » Do 7. Sep 2006, 19:16

Ahoi,
Retroklassiker sind nicht undbedingt schneller als ihre Vorbilder. Lange Überhänge und niedrige Bordwände sind nicht kontraproduktiv, sondern ergeben ein höheres Geschwindigkeitspotenzial, geringeres Gewicht bessere Kreuzeigenschaften und niedrigere Baukosten. Diese Merkmale sind also sehr funktionell. Dabei kommt die Wohnlichkeit zu kurz. Ein klassischer Kompromiss sind die frühen Ocean-Racer (z.B. HAMBURG und DORADE). Wie die Fahrtleistungen der von vergleichbaren Retroklassikern (Segelfläche, Verdrängung) im Nordatlantik bei 8-11 Bft. aussehen würde mich schon interessieren.
Christoph
André Bauer

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von André Bauer » Do 7. Sep 2006, 19:47

Moin Christoph,
also ich muß Dir leider in einigen Punkten wiedersprechen, so gern ich Überhänge auch hab: Ein Schiff mit Überhängen kann immer nur mit einem Schiff gleicher Wasserlinienlänge verglichen werden. Daraus ergeben sich höhere Kosten für Bau und Liegeplatz. Ebenso höheres Gewicht, weil die Überhänge einfach mehr Masse ergeben, als ohne. Die Kreuzeigenschaften können auch nicht besser sein, allein wegen der besseren Massenkonzentration im Schiffsschwerpunkt ohne Überhänge. Ein solches Schiff stampft nicht so sehr und bei Heckseen wird das Heck auch weniger angehoben.
Ansonsten müßte man sich weniger Gedanken um die Konzentration der Massen im Schiffsschwerpunkt machen. Ein Bespiel dafür ist der Anker, der oft mit Kette unten im Schiff gefahren wird. In punkto Geschwindigkeitspotenzial hast Du recht, aber nur solange die See relativ glatt ist. Ansonsten würde jede formelfreie moderne Regattahochseeyacht Überhänge haben. Dazu kommt die Festigkeit, die ohne Überhänge höher ist, weil die Biegemomente durch das Rigg in Längsrichtung kleiner werden. Weniger Durchbiegung-mehr Geschwindigkeit.
Trotzdem würde ich nicht mit einem modernen Schiff tauschen wollen.

Grüße,
André
V98 "Seebrise" in spe
kuijvenhoven
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Registriert: Do 7. Sep 2006, 22:18

Re: Klassiker oder nicht?

Beitrag von kuijvenhoven » Do 7. Sep 2006, 22:30

Wer Niederländisch lesen kann, hat vielleicht viel daran zu wissen dasz diese Diskussion beim Niederländische Klassiker Verein (www.vksj.nl) zu einer ganz punktliche Einordnung geführt hat.
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